Volle Züge am Šargan
Wie auf dem Balkan eine Erlebnisbahn zurückkehrte
Man stelle sich eine Schmalspurbahn vor, die an einem stillen Talschluss am Hindernis eines Bergpasses ansteht und sich nun aufmacht, diesen mittels einer perfekt in die Berglandschaft integrierten Schleifenentwicklung zu überwinden, und anschließend im Scheiteltunnel der Strecke untertaucht. Natürlich kennen wir eine solche Strecke, wir denken sogleich an die Nordrampe der Mariazellerbahn mit dem Gösingtunnel. Nun stelle man sich dazu aber noch einen großen Knoten in der Linienführung vor. Dann sind wir am Šargan-Pass in Westserbien angekommen, wo seit 1999 eines der faszinierendsten Wiederaufbau-Projekte in der Geschichte der touristischen Eisenbahnen von Statten ging.
Die Bahn über das Šargan-Gebirge in Westserbien wurde in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut, als das nach dem Ersten Weltkrieg entstandene jugoslawische Königreich vor dem Problem stand, die Landesteile innerhalb der neuen Grenzen durch gebirgiges und unwegsames Gelände miteinander zu verbinden. Zwischen Sarajevo und Belgrad wählte man eine Verbindung der unter der Donaumonarchie errichteten Bosnischen Ostbahn mit dem ebenfalls in 760 mm Spur errichteten westserbischen Schmalspurnetz, die Linienführung mittels der erwähnten Querung des bereits in Serbien gelegenen Šargan-Gebirges.
So entstand eine schmalspurige Hauptstrecke, auf der bis zu 40 Zugpaare täglich unterwegs waren, darunter Schlafwagenverbindungen und Schnellzüge mit Dieseltriebwagen auf Langläufen von über 680 Kilometern von Belgrad nach Dubrovnik. Den Niedergang dieses einzigartigen Schmalspurnetzes, das einst Bosnien-Herzegowina, weite Teile Serbiens, des dalmatinischen Küstenlandes und Montenegros erschloss, brachte der Bau normalspuriger Neubaustrecken, welcher das Netz immer mehr zerriss und die schmalspurigen Reste als bloße Zubringerlinien zurück ließ. Als einer der letzten Abschnitte verblieb die Bosnische Ostbahn von Sarajevo bis Titovo Uzice, eingestellt im Jahr 1974.
Der Wiederaufbau:
Angeblich soll Staatsoberhaupt Tito höchstpersönlich den Erhalt der spektakulären Bergstrecke als technisches Denkmal gefordert haben, und tatsächlich wurden die Gleise erst gegen Ende der Achziger-Jahre, lange nach seinem Tod abgetragen. Hätte man sich nur noch ein wenig länger damit Zeit gelassen, wären die Sorgen in diesem Teil Europas wohl andere gewesen, als verrostete Gleise aus der Landschaft heraus zu reißen…
Einige Jahre nach den hinlänglich bekannten Grausamkeiten des Bürgerkrieges beschlossen 1999 das serbische Tourismus- und das Eisenbahnministerium den Wiederaufbau der Strecke von Mokra Gora nach Šargan Vitasi, einschließlich der Schaffung eines touristischen Rahmenangebots. Die Bahn wird dabei eine wesentliche Rolle in der Wiederbelebung einer von Abwanderung aus einer kleinbetrieblich-landwirtschaftlich geprägten Region spielen. Der nahe Nationalpark Tara, die Erweiterung des Kurbetriebes an den Mineralquellen von Mokra Gora und die Errichtung von Hotelanlagen überschaubarer Größe sollen für eine Belebung mittels sanftem Tourismus und der Schmalspurbahn als verbindendem Element sorgen.
Am 30. August 2003 war es dann auch soweit: Der öffentliche Probebetrieb wurde behördlich genehmigt und seit dem ersten Tag erfreuen sich die vorerst mit Diesellokomotiven geführten Planzüge größter Beliebtheit.
Textquelle: http://www.mariazellerbahn.at